Den Reportern der Bundesliga-Konferenz, den Kollegen vom rbb Inforadio, dem Deutschlandfunk und dem Berliner Rundfunk ist unser Kollege Wolfgang Schilhaneck besonders dankbar. So betont er jedenfalls bei Besuchen immer wieder: "Ich hänge an den Lippen der Kollegen, denn ich bin inzwischen ganz blind. Ich kann dadurch auch unsere schönen Sommerfahrten leider nicht mehr mitmachen. Veranstaltungen in Berlin besuche ich, wenn ich von meiner Frau Ilona begleitet werde. Ich halte mich nämlich gern im Kreis meiner netten Kollegen auf, von denen ich die meisten an der Stimme erkenne." Am 27. Juli begeht Wolfgang im Senioren-Stift im Berliner Hohenzollern-Park mit Ehefrau Ilona sowie den Kindern Jürgen und Monika den 90. Geburtstag.
Torwart mit Brille
Die Fans staunten nicht schlecht, wenn die Elf der SG Hohenschönhausen auflief. Im Kasten bei den Berlinern stand ein Torwart mit Brille. Sicher ein seltenes Bild, "aber ich kam damit klar und hütete von der Jugend bis zu den 'Alten Herren' bei über 600 Spielen das Tor der Hohenschönhausener", erinnert sich Wolfgang Schilhaneck. 1951 und 1953 mischte das Team der SGH sogar in der DDR-Liga, der zweithöchsten Spielklasse, mit. "Schille", wie er in Berliner Sportkreisen gerufen wird, stand zunächst auf jenem Sportplatz zwischen den Pfosten, auf dem sich heute das Oval der Eisschnelllauf-Halle dehnt. Der Oldie spricht gern über die alten Zeiten, denn er gehört zu jener Spezies Journalisten, die nicht nur über Fußball schreiben, sondern selbst an den Ball getreten haben. Noch in den letzten Kriegstagen begann der damals 15-Jährige eine Lehre als Landvermesser, wechselte aber nach Ende des Krieges zu einer Verwaltungslehre. "Das war ein harter Job. Manchmal musste ich Briefe zu Fuß von Pankow in die Masurenallee bringen. Das war ein gefühlter Marathonlauf durch die Trümmerwüste Berlins", wischt sich Schille in Gedanken den Schweiß von der Stirn.
Traumjob Sportjournalist
Wie das Leben manchmal so spielt, saß Schilhaneck an jenem Tag der Teilung Berlins 1948 im Stadthaus in Ostberlin und sortierte Akten. Ost oder West, war da die Frage: "Als Hohenschönhausner wollte ich nicht zu Dr. Theuner nach Westberlin und blieb im Osten." Ob die Entscheidung richtig oder falsch war, will Kollege Schilhaneck heute nicht mehr auf Anhieb beantworten, meint aber nach kurzer Überlegung: "Es war wohl richtig, denn wer weiß, ob ich sonst meinen Traumberuf als Sportjournalist hätte ausüben können." Am 2. Mai 1952 wurde nämlich das "Bauernecho" gegründet. Glück für Schille: "Mein Onkel Helmschrott arbeitete im Bauern-Verlag. Er hörte, dass der Chefredakteur händeringend einen Sportredakteur sucht. Ich ging zum Test und wurde genommen." Das Redakteursstudium schloss der Seiteneinsteiger drei Jahre später ab. Schilhaneck produzierte als Alleinunterhalter wöchentlich 13 bis 14 Seiten, berichtete von internationalen Meisterschaften und Olympischen Spielen. Nach der Wende war Anfang 1990 Schluss. „Die Roten wurden entlassen. Ich als Halbroter durfte zum 'Deutschen Landblatt' wechseln - aber nicht lange. 1992 war auch dort das Ende angesagt", berichtet Wolfgang Schilhaneck. Er musste jedoch nicht zu Hause Trübsal blasen. DPA, der LSB, die Fußballwoche, die Pferdesport-Zeitung und Die Welt boten ausreichend Arbeit. "Ab 2012 musste ich dann allerdings endgültig passen. Ich erkannte die Buchstaben nicht mehr - weder auf der Schreibmaschine noch auf dem Laptop", sagt Schille mit fester Stimme und zeigte mit den Worten auf das Radio in seiner Hand: "Das ist jetzt mein wichtiger und bester Freund."
Text: Manne Hönel